Kann ich erkennen, ob Gott existiert? Eine Antwort von Thomas von Aquin.
In dieser Artikelserie betrachten wir wichtige und alltägliche Fragen, die uns in unserem Leben begegnen und hören darauf, was Thomas von Aquin – a.k.a. der „stumme Ochse“ – dazu zu sagen hatte.
Vielleicht denkst du gerade, dass die Gedanken eines mittelalterlichen Scholastikers uns heute nicht mehr so viel zu sagen haben. Diesen anfänglichen Verdacht hatten schon viele, doch das ist weit gefehlt. Überzeuge dich doch einfach selbst davon!
Als Anhaltspunkt für diese Serie dient der geniale Podcast des Australiers Matt Fradd mit dem Titel „Pints with Aquinas“, der sich mit Aquin in einer Bar setzt und bei einem leckeren Pint seine Fragen loswird. Wir werden Thomas durch Zitate aus seinem Magnum Opus Summa Theologica zu uns sprechen lassen. In diesem Werk setzt Aquin Glauben und Wissen seiner Zeit in Bezug zueinander und lässt auch Kirchenväter, Theologen, liturgische Texte sowie Philosophen (v.a. Aristoteles) zu Wort kommen. Die Summa ist dabei in drei Teile eingeteilt. Jeder dieser Teile besteht aus verschiedenen Fragen, die sich wiederum in Artikel unterteilen. Eingeleitet werden die Artikel durch die stärksten Einwände die Thomas gegen seine Positionen findet. Danach folgen meist seine Gegenargumente und im Artikelkern wird anschließend die Analyse bzw. Lehrentscheidung vorgenommen. Zuletzt erfolgt die Widerlegung aller Einwände.
Das Geniale ist, dass man sofort mit den stärksten Einwänden in Berührung kommt und als Leser ein umfassendes Bild bekommt. Lass uns gemeinsam erfahren, wie über fast 500 Jahre alte Gedankengänge noch heute für unser Leben als Christen relevant sind.
Let’s get ready to rumble!
Intro
Manche Leute meinen, dass wir den Glauben benötigen, um zu wissen, dass Gott existiert. Sie behaupten, dass die Vernunft über die Jahrhunderte so pervertiert wurde, dass wir uns nicht mehr auf sie verlassen können. Andere wiederrum behaupten, dass die Vernunft das einzige ist, was wir benötigen und auf das wir uns verlassen können, um Wahrheiten in dieser Welt zu erkennen. Mittels der Vernunft können wir erkennen, ob es Gott überhaupt gibt und wie er ist.
Mit diesen Positionen beschäftigte sich auch Thomas im ersten Teil seiner Summa. Somit lautet unsere heutige Frage an den stummen Ochsen:
„Benötigen wir den Glauben, um festzustellen, dass Gott existiert?“
Was die Summa sagt
» Auf der anderen Seite sagt Paulus (Röm. 1,19): „Denn was man von Gott erkennen kann […]“ d.h. was von Gott erkennbar ist durch die natürliche Vernunft, das „[…] ist unter ihnen offenbar […]“.
Ich antworte, dass unsere natürliche Vernunft in ihrem Erkennen von den Sinnen ausgeht. Soweit also kann sie sich erstrecken, als sie angeleitet werden kann durch die sichtbaren Dinge. Aus diesen letzteren aber kann keineswegs unsere Vernunft bis dahin kommen, dass sie das göttliche Wesen schaue; weil die sichtbaren Dinge Wirkungen Gottes sind, welche die Kraft dieser ihrer Ursache nicht erschöpfen. […] Es kann somit aus den sichtbaren Dingen nicht die ganze Kraft der ersten Ursache erkannt und folgerichtig auch nicht das innere Wesen geschaut werden.
Solche sichtbare Dinge sind aber immerhin Wirkungen, welche von der Ursache abhängen und deshalb können wir aus ihnen mit Sicherheit schließen:
1. dass Gott existiert, und
2. dass Er jene Vollkommenheit besitzt, welche Ihm als erster Ursache, die an Kraft und innerer Natur alle Wirkungen überragt, zukommen.Deshalb wissen wir von Ihm die Beziehung, welche Er zu den Kreaturen hat, dass Er nämlich von allen insgesamt die Ursache ist. Dann wissen wir, dass Er dem Wesen nach verschieden ist von aller Kreatur, insofern Er nichts von dem ist, was durch Ihn verursacht wird; und […] Er alles in unaussprechlicher Weise hoch überragt. «
Was bedeutet das?
Zusammengefasst beantwortet Thomas unsere Frage so:
Wir können rein vernunftmäßig erkennen, dass Gott existiert. Somit ist der Glauben keine zwingende Voraussetzung für diese Erkenntnis. Allerdings ist die reine Vernunft unfähig Aussagen über sein Wesen zu treffen, da uns dieses Wesen in unaussprechlicher Weise überragt.
Im Rahmen des vernunftmäßigen Erkennens Gottes, hat Thomas die „5 Wege der Gotteserkenntnis“ niedergeschrieben, die aus 4 kosmologischen und einem teleologischen Gottesbeweis bestehen. Wir werden uns mit diesen Beweisen im Laufe dieser Serie intensiver beschäftigen.
Kennt ihr diese Momente, wenn ihr euch über die Genialität der Natur und die Welt unterhält, euch vielleicht mit euren Gentlemen wieder in ein philosophisches Quartett vertieft habt und jemand sagt: „Es muss doch für alles eine Erklärung geben.“ Was wir damit meinen ist keine Erklärung, die wieder von einer anderen Erklärung abhängt, sondern eine letzte Erklärung, von der alles ausgeht. Übertragen auf den physikalischen Bereich, wäre das die Suche nach der Weltformel, die alle physikalischen Phänomene unseres Universums verknüpfen und präzise beschreiben kann.
Thomas beschreibt 3 Dinge, die wir vernunftmäßig erkennen können:
- Gott existiert
- Gott ist die erste Ursache bzw. der erste unbewegte Beweger (vgl. kosmologischer Beweis) und somit umfassende Erklärung aller Dinge.
„Solche sichtbare Dinge sind aber immerhin Wirkungen, welche von der Ursache abhängen. Deshalb wissen wir von Ihm die Beziehung, welche Er zu den Kreaturen hat, dass Er nämlich von allen insgesamt die Ursache ist.“ - Gott ist mysteriös und sein Wesen liegt über unserem Verständnis.
„Es kann somit aus den sichtbaren Dingen nicht die ganze Kraft der ersten Ursache erkannt und folgerichtig auch nicht das innere Wesen geschaut werden.“
Kennt ihr auch dieses Gefühl bei dem Anblick eines unglaublichen Naturereignisses, egal ob ein Sonnenuntergang in den Bergen, ein Sturm auf dem Meer oder ein Regenbogen am Horizont, irgendetwas in uns scheint zu erkennen, dass es für all das eine letzte Erklärung gibt, die von nichts Externem abhängt und somit perfekt ist.
Gott, der der Schöpfer aller Dinge ist, hat in uns auch das Licht der Vernunft gelegt. Somit ist es unmöglich, dass Glaube und Vernunft ewige Feinde sind. Genauso wenig wie Gott sich nicht selbst widerspricht, kann nicht Wahrheit gegen Wahrheit widersprechen. Im Gegensatz hierzu steht der Fideismus, der davon ausgeht, dass Glaube und Vernunft entgegenstehen und der dem Glauben einen absoluten Vorrang eingesteht und der Vernunft grundsätzlich misstraut. Als bekannter Vertreter wird oft Tertullian genannt (150-220) welcher einmal sagte: „Was hat Athen mit Jerusalem zu tun?“ und sich damit auf die Philosophie als Gegensatz zum Glauben bezog. Dennoch hat Gott beide mentalen Kapazitäten in den Mensch gelegt, nicht nur die Fähigkeit zu glauben, sondern auch die Vernunft.
Das Gottesbild des Christentums ist das Bild eines vernünftigen, den ganzen Kosmos schaffenden, ordnenden und erhaltenden Gottes. Da der Mensch als sein Abbild geschaffen wurde und somit auch die Fähigkeit hat, zu erkennen und zu verstehen, hat er auch Anteil am Göttlichen. Um es mit den Worten des Philosophen und Komponisten Jean-Jacques Rousseau (1712-1788) auszudrücken:
„Der Gott, den ich anbete, ist nicht ein Gott der Finsternis; er hat mir den Verstand nicht gegeben, um mir den Gebrauch desselben zu untersagen. Von mir verlangen, meine Vernunft gefangen zu geben, heißt ihren Schöpfer beleidigen.“

Weitere Zeugen
Lesen wir einmal, was die Bibel über dieses Thema sagt:
„Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Leben und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn sein unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt, wenn man es wahrnimmt, ersehen an seinen Werken, sodass sie keine Entschuldigung haben. Obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Die sich für Weise hielten, sind zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere.“ (Römer 1, 18-23)
Im apokryphen „Buch der Weisheit“ gibt es eine weitere faszinierende Stelle in Kapitel 13, 1-9:
„Es waren von Natur alle Menschen nichtig, denen die Gotteserkenntnis fehlte und die an den sichtbaren Gütern den, der da ist, nicht erkennen konnten. Sie haben auch nicht erkannt, wer der Werkmeister ist, obwohl sie seine Werke sahen, sondern sie hielten das Feuer, den Wind, die flüchtige Luft, die Sterne, mächtige Wasser oder die Lichter am Himmel für Götter und Wächter der Welt. Wenn sie aber an ihrer Schönheit sich freuten und sie darum für Götter hielten, hätten sie auch erkennen sollen, um wie viel herrlicher als diese der Herr ist. Denn er, der aller Schönheit Meister ist, hat sie alle geschaffen. Wenn sie aber schon über deren Macht und Kraft staunten, hätten sie merken sollen, um wie viel mächtiger der ist, der das alles bereitet hat. Denn es wird an der Größe und Schönheit der Geschöpfe ihr Schöpfer wie in einem Bild erkannt. Trotzdem sind sie nicht zu sehr zu tadeln; denn sie irren vielleicht und suchen doch Gott und hätten ihn gern gefunden. Denn sie gehen zwar mit seinen Werken um und erforschen sie, aber sie lassen sich durch das, was vor Augen ist, gefangen nehmen, weil so schön ist, was man sieht. Doch sind sie damit nicht entschuldigt. Denn wenn sie so viel zu erkennen vermochten, dass sie die Welt erforschen konnten, warum haben sie dann nicht viel eher den Herrn über das alles gefunden?“
Reicht die Vernunft alleine?
Diese Frage beantwortet Thomas Aquin mit einem klaren Nein, denn es gibt bestimmte Wahrheiten (z.B. Aussagen über das Wesen Gottes), die wir nicht durch Anwendung der reinen Vernunft erkennen können. So ist es nicht möglich allein auf Grundlage der Philosophie zu dem Schluss zu kommen, dass das Wesen Gottes auf der Trinität beruht. Auch die Beziehung zwischen Gott und dem Mensch übersteigt die sichtbare Welt. Das Wissen über Gott durch seine Schöpfung ist für unsere Liebe zu ihm grundlegend aber nicht ausreichend. Wir benötigen das Licht des Glaubens, welches uns die tieferen Wahrheiten über Gott und unsere Beziehung zu Ihm entdecken lässt. Der Glaube, der uns das Ausmaß der Liebe Gottes gegenüber dem Menschen offenbart, ist notwendig, um das Vaterherz Gottes zu erkennen. Übereinstimmend hierzu ist der erkenntnisschaffende Glaube im Hinblick des Wesens Gottes einer der theologischen Schwerpunkte des Johannesevangeliums.
Aus diesem Grund benötigen und haben wir die Offenbarung Gottes, welche sich in Jesus Christus manifestiert und worin auch ein Teil seine Herrlichkeit liegt. So hat Jesus damals seinen Nachfolgern über den Heiligen Geist vorausgesagt:
„Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten.“ (Johannes 16,13)
Abklang
Die Enzyklopädie „Glaube und Vernunft“ von Johannes Paul II beginnt mit den folgenden Worten:
„Glaube und Vernunft sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt. Das Streben, die Wahrheit zu erkennen und letztlich ihn selbst zu erkennen, hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, dass er Ihn erkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit über sich selbst gelangen könne.“
Heute leben unter uns viele Menschen, deren Flügel des Glaubens gebrochen ist und die nur mit einem Flügel, dem Flügel der Vernunft zurechtkommen müssen. Mit einem gebrochenen Flügel ist er ein halbierter Mensch. Kinder Gottes – wir Krieger des Lichts – dürfen mit beiden Flügeln fliegen. Doch auch für alle mit gebrochenen Flügeln muss dies nicht das letzte Stadium sein, denn der Schöpfer kann gebrochene Flügel heilen. Genaugenommen ist dies seine Kunst, denn er ist der wahre Meister des Kintsugi.
Auf den Punkt gebracht
Was können wir von Thomas Aquin mitnehmen?
Durch die Vernunft können wir erkennen, dass Gott existiert aber wir benötigen die göttliche Offenbarung, um unser Verständnis zu erleuchten, wie Gott ist, wer wir sind und was unsere Antwort an Gott sein sollte.
Quellen
http://pintswithaquinas.libsyn.com/2-do-we-need-faith-to-know-that-god-exists
Johannes Paul II., Fides et Ratio, 1998
Bild: kellepics/ bigprinting/Pixabay